24. Februar 2021

Das »Fünf-Sinn-Fragen«-Mini-Interview von Jo und der Wolf.

Heute mit Florian Beger, Geschäftsführer der AIDS-Hilfe Hessen e.V., der mit seinem engagierten Team wertvolle Arbeit leistet. Wir freuen uns sehr über Florians Teilnahme an unserem Interview und legen Euch seine Einblicke und Gedanken ans Herz.

1. Lieber Florian, was bedeutet für dich Glück?

Wir leben in einer Welt, in der der Begriff des Glücks oft mit Nutzen gleichgesetzt wird. Persönliches Glück wird dann oft im Genuss von Gütern und Erlebnissen, im Konsum, gesucht. Das hinterlässt uns aber in Wirklichkeit unbefriedigt. Auch ekstatische Erlebnisse sollen Glücksgefühle machen. Glück erfahren wir aber meiner Ansicht nach am ehesten in Situationen, in denen wir gar nicht damit rechnen. Dann wenn uns ein Gefühl von Stimmigkeit erfasst, die Gewissheit, dass die Welt in Ordnung ist oder in Ordnung kommen wird. Es ist ein enthebender Zustand, der mit Ruhe, Gelassenheit und Freude zugleich verbunden ist.

2. Welcher menschliche Wert hat für dich aktuell die größte Bedeutung?

Gemeinschaft, die kultur- und sinnstiftende Kraft des Zusammen- und Miteinanderseins.

3. Was treibt dich bei deiner Arbeit für die Hessische Aidshilfe am stärksten an?

Die Aidsarbeit konzentriert sich auf Menschen, deren Lebenswege und Lebensformen oft von der vermeintlichen Norm abweichen, teilweise ganz erheblich. Ein gutes Leben kann nicht allein in der Konzentration auf das persönliche Wohlergehen zu suchen sein, mit der Folge, dass man blind und taub für die anders gearteten Erfahrungen anderer wird. Offenheit für die Erfahrungen und auch die Leiden anderer ist Bedingung von Wahrhaftigkeit. Bei der Aidshilfe zu arbeiten geht mit dem Privileg einher, seine Zeit so einsetzen zu dürfen: Offen für andere bleiben zu können, und sich bei allen Unterschieden gegenseitig zu unterstützen.

4. Was ist aktuell Euer wichtigstes Projekt?

Aktuell wird uns bewusst, wie wichtig unser Kerngeschäft ist: Im Kontakt und ansprechbar zu bleiben für die Menschen, die bei der Aidshilfe soziale Unterstützung und Hilfe suchen. Weil viele Menschen, die auf die Aidshilfe zurückgreifen, von Einsamkeit und Isolation betroffen oder bedroht sind, ist die Beratung und Begleitung im Einzelfall gerade in der aktuellen Situation von Kontaktbeschränkungen und Isolation ganz besonders wichtig. Wir hoffen, diejenigen unter unseren Nutzer*innen, die besonders unter der Einsamkeit leiden, etwas auffangen zu können. Für einen Teil unserer Nutzer*innen bedeutet die aktuelle Situation auch die Verschlimmerung existentieller Sorgen – da wollen wir unterstützen. In Bezug auf die spätere Zeit ist ein Forschungsprojekt wichtig, an dem wir im Moment in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern arbeiten. Es geht darum, herauszufinden, was wir in Hessen tun können, damit weniger Menschen sich mit HIV infizieren und diejenigen, die mit HIV leben, Zugang zur Versorgung finden und keiner Diskriminierung ausgesetzt werden. Im Rahmen der Forschung werden dabei viele Angehörige der hauptsächlich von HIV betroffenen Gruppen gefragt und gehört – ihre Perspektive, Ideen und Wünsche sind zentral.

5. Wenn du an die Zukunft denkst – was wünscht du dir von Gesellschaft und Politik in Bezug auf den Umgang mit AIDS und HIV-Positiven am meisten?

Wir sind weit gekommen: eine HIV-Infektion kann heute als gut behandelbare chronische Erkrankung verlaufen. Wenn der Zugang zur medizinischen Versorgung gewährleistet ist, muss HIV nicht mehr Aids bedeuten und die Betroffenen haben eine normale Lebenserwartung. Auch die gesellschaftliche Stigmatisierung und Diskriminierung hat nachgelassen. In den 1980er Jahren haben Politiker*innen noch die Isolation und Ausgrenzung von HIV-positiven Menschen gefordert, damit haben sie sich in Deutschland glücklicherweise nicht durchgesetzt. Aber HIV ist mit Scham, Stigma und Ausgrenzung verbunden – nach wie vor. Hier müssen wir ansetzen: Verschiedenheit von Lebensentwürfen und Hintergründen wertschätzen lernen und Menschen, die von Krankheit oder anderen Benachteiligungen betroffen sind, nicht ausgrenzen, sondern mit ihnen verbunden und solidarisch bleiben.
©Florian_Beger